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Erbnacht

Begonnen von Anne Holtz, 03.10.2008, 16:57:54

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Anne Holtz

Dunkle Wolken hängen am Himmel, und kühl fällt der Regen auf die goldgefärbten Blätter der Bäume. Morgennebel liegt über den Wiesen und kündet vom Ende de Sommers. Auf den wenigen Feldern stehen Stoppeln, und überall im Dorf sieht man Körbe mit den kleinen harten Waldäpfeln und Pilzen. Ja, der Herbst ist gekommen in Erbnacht, die Zeit der Ernte und damit auch die Zeit der Sorge. Wird es dieses Jahr reichen? Die Spuren des Krieges sind noch lange nicht verwischt, die letzten Winter waren hart, voll von Hunger und Entbehrungen. Voll von Tod.
Fentjes Augen schweifen ab zu den Ruinen der Feste, die sich auf dem Berg über dem Dorf erhebt. Feste Erbnacht, einstmals der Sitz des alten Barons, und dann der Sitz der Dunklen Herrin, in den langen Jahren der Besatzung. Nach der Befreiung von den Truppen geschliffen, bis kaum mehr ein Stein auf dem anderen stand, umgeben von einem Ring aus verbrannter Erde. Jetzt sieht man aus einer Ecke Rauch aufsteigen, Teile der Mauern sind dort wieder aufgebaut worden, und es steht ein längliches Holzgebäude dort, wo ehemals die große Halle stand. Vor dem Eingang steht ein Soldat im grün-weißen Wappenrock, und unter der Fahne mit dem Widder Erbnachts weht, kleiner, der blaue Eisvogel. Die Baronin ist hier.
Die Augen nun wieder auf die Beeren gerichtet, die zum Trocknen aussortiert werden, erinnert sich Fentje der Ankunft der Baronin zu Beginn des Sommers:
Kaum hatte man sich an die Anwesenheit der Reichsritter gewöhnt, und ein zerbrechlicher Alltag war eingekehrt, traf die Nachricht ein, die Königin habe eine Baronin ernannt, in Erbnacht zu herrschen, eine Freiherrentochter aus der Kronmark, eine Ritterin, und Gegenstand wildester Geschichten. Die wenigsten kannten Isabella von Tiefensee von Angesicht, denn während des Kriegszugs verbarg man sich, wenn man konnte, und sah so wenig wie irgend möglich, aber beinahe jeder hatte eine Geschichte beizusteuern. Ein Engel spreche zu ihr, ein Engel des Drachen, berichteten die einen, und sie habe ein flammendes Schwert gebracht. Sie habe ein Herz aus Eis und würde niemals lachen, erzählten die anderen, und wo sie ginge, würde es kalt.
Und als wäre die Aufregung vor ihrer Ankunft in Erbnacht-Stadt nicht schon groß genug, war am Morgen früh Gregor von Erbnacht eingetroffen, in Wappenrock und Waffen, das Schild an die versehrte Hand geschnallt und in Begleitung einer Handvoll kampferprobter Männer, die ihm schon zu Zeiten der Grenzreiter gefolgt waren. Mit diesen stand er nun am Fuß der Feste im kühlen Morgenlicht und erwartete die Ankunft der Baronin. Unbehagen verbreitete sich unter der wartenden Bevölkerung, denn Gehen war nicht möglich, galt es doch, die Baronin zu begrüßen, aber bleiben schien unsicher, konnte es doch jederzeit zum Kampf zwischen Gregors Männern und den Truppen der neuen Baronin kommen. Gedämpfte Jubelrufe kündeten Isabellas Eintreffen an, und schon ritt sie auf einem weißen Pferd auf den Platz, ernst und hoch aufgerichtet, in voller Rüstung und mit einigen Bewaffneten hinter sich. Beim Anblick Gregors und seiner Grenzreiter, ebenfalls gerüstet und bewaffnet, hielt der Tross an. Angespanntes Schweigen breitete sich aus, als die Baronin scheinbar ruhig und ungerührt weiter nach vorne ritt. Das unruhige Schnauben und Tänzeln ihres Pferdes allein gaben Hinweis auf die Anspannung der Reiterin. Auch Gregor von Erbnacht trat ein paar Schritte vor. Einen langen Augenblick maßen sich die beiden mit den Augen, bis Gregor das Knie beugte. ,,Willkommen, Euer Hochwohlgeboren."
Der folgende Jubel war echt und laut, und entgegen aller Geschichten lächelte die Baronin. 

Anne Holtz

Wie so oft gibt es mehr als nur ein Erleben. Hier im Anschluss nun Gregors Gedanken zum Einzug der Baronin...

Er befühlte den speckigen Saum seines Gambesons und entfernte eine Klette, die vom letzten Streifzug durch die Wälder dort hängengeblieben war. Roland hatte ihm vor zwei Stunden berichtet, dass sie kommen würde. Jetzt war es soweit. Er sah sie kommen, in voller Rüstung auf weißem Pferd, mit ihren Getreuen. Seine Männer warfen ihm fragende Blicke zu. Er ließ seinen Blick über die schweifen, die ihm geschworen hatten, damals vor Jahren, als die dunkle Brut die Heimat verheert hatte. Er blickte zu jenen, zu deren Schutz er eingetreten war, den Frauen und Kindern und alten Männern, die trotz Gram und Verzweiflung, trotz dem Verlust von allem, was ein Leben ausmacht, ihn willkommen geheißen hatten, die stumme Hoffnung in ihren Augen, ob sich mit ihm nun das erfülle, wofür sie seit Jahren beteten. Er konnte von ihren Gesichtern ablesen, was sie dachten. Wieder kommen Fremde, die über Erbnacht herrschen werden. Zwar auf Geheiß der Königin und dem Königreich verdient, dennoch Fremde.
Die neue Baronin ritt auf den Platz, ihre Getreuen in Reihe hinter ihr. Gregor erklomm einen Mauerrest. so dass sie sich Auge in Auge gegenüberstanden, sie auf dem Pferd, er auf der Mauer, keiner niedriger als der andere. Er stand auf der Mauer, das Banner von Erbnacht in der rechten Hand, den Stumpf der Linken trotzig in die Hüfte gestemmt. Es folgte ein Moment eisiger Stille, lediglich durchbrochen vom Schnauben der Pferde und dem Pfeifen des Windes. Beide sahen sich an, beide schienen abzuwägen. Unvermittelt sprang Gregor vom Mauerrest und landete mit seinen zerrissenen Stiefeln auf dem matschigen Boden. Das Klatschen der Stiefel im Matsch schien den Bann gebrochen zu haben, man hörte das Klirren der Rüstung von sich bewegenden Männern und das Schaben von Schwertern, die schon halb aus ihren Scheiden heraus waren. Gregor stand ganz still, das Banner aufrecht, den Kopf gesenkt, den Stumpf einhaltgebietend erhoben. Es wurde wieder still. Er straffte sich, reckte das Kinn und ging selbstsicheren Schrittes auf die Baronin zu. Vier Rumpflängen vor ihr beugte er das Knie, hielt ihr das Banner demutsvoll entgegen und sprach mit fester Stimme:" Willkommen, Euer Hochwohlgeboren."

(Text von M. Trommler)

Anne Holtz

Geschäftigkeit war bald danach eingekehrt. Die Säuberung der ehemaligen Feste begann, beinahe täglich trafen Boten ein oder ritten mit Nachrichten wieder fort und auch die Baronin und ihre Getreuen verbrachten manche Stunde auf dem Pferderücken,  bestrebt, sich das Land so schnell wie möglich vertraut zu machen. Nach kurzer Zeit nahm das anfängliche Misstrauen ab und ein immer größer werdender Strom aus Bittstellern und Anklägern begann sich einzufinden. Um dem Andrang Herr zu werden, bestimmte die Baronin den zweiten Tag einer Monats zum Gerichtstag. Jeder, der ein Anliegen hatte, konnte dort vorstellig werden, und nach und nach fanden sich immer mehr Schaulustige ein, zu lauschen und zu tratschen.
Einer der Tage hatte sich mehr als die anderen ins Gedächtnis gebrannt.
Die Kerker zu leeren schien der Baronin ein besonderes Anliegen zu sein. Man munkelte, sie wolle die Zahl der Mäuler, die für den Winter zu stopfen waren, gering halten. Und so wurde neben Anklagen über versetzte Grenzsteine und von versteckten Söldnern geraubtes Vieh auch manch ein Diener der Dunklen Herrin auf den Richtplatz geführt.
An diesem Tag hatte man den ehemaligen Freiherrn von Wendt nebst Gemahlin aus den Kerkern gebracht. Gleich zu Beginn der Schreckensherrschaft hatte sich diese Familie auf die Seite der Dunklen gestellt, und bis zum Ende hatte man kein Zögern bei ihnen gesehen, wenn es darum ging, ihre Befehle durchzusetzen.
Blass nach der Kerkerhaft, mager geworden und die Kleider abgetragen und zerknittert standen sie vor dem Thron der Baronin. Im Hintergrund war der Richtplatz zu sehen, an den Seiten des Platzes drängten sich die einfachen Leute. Auch einige Händler und Zunftmeister waren diesmal zugegen. Die Familie von Wendt war bekannt.
Zunächst schien alles den gewohnten Gang zu gehen. Die Anklage wurde vorgebracht, Zeugen gehört, auch gab es einige belastende Briefe sowie gesiegelte Befehle, die von vergangenen Verbrechen kündeten. Und wie schon andere vor ihr lachte die ehemalige Freifrau von Wendt und verhöhnte den Drachen, die Krone und nicht zuletzt die neue Baronin, noch immer gefangen in ihrer Treue zu den Dunklen. Stolz und aufrecht stand sie da, die Augen funkelnd im Wahn, als das Urteil ,,Tod durch den Strang" verkündet wurde.
Teron von Wendt hingegen trat blass und gefasst vor und sank auf ein Knie.
,,Schwer lastet die Schuld auf meiner Seele", sprach er, ,,und tief reut mich meine Verblendung. Ich habe mich täuschen lassen, von meinem Weib, das mich glauben machte, es sei zum Wohle Erbnachts, so zu handeln, und von einer Müdigkeit, die mich überfiel, jedes Mal, wenn mir die Zweifel kamen. Seit dem Ende der Dunklen Zeit peinigen mich Bruchstücke einer Erinnerung, die mir als böser Traum erscheint, von der ich jedoch erfahren muss, dass sie mich nicht trügt. Ich erbitte Vergebung, denn ich war nicht Herr meiner Selbst. Ich erbitte Vergebung, denn es drängt mich, Buße zu tun. Ich erbitte Vergebung, im Namen der Liebe und Barmherzigkeit des Großen Drachen."
Stille senkte sich über die Anwesenden. Teron von Wendt war vor der Dunklen Zeit als besonnener Herr geschätzt worden, und Aufrichtigkeit klang aus seiner Stimme. Aber unvergessen waren auch die Gräueltaten der Dunklen Zeit.
,,Die Erinnerung, die Euch heimsucht, ist kein böser Traum. Sie entspricht der Wahrheit, und das streitet Ihr nicht ab. Die Verbrechen, die in Eurem Namen verübt wurden, sind vielfältig und grauenvoll. Ihr erbittet Vergebung im Namen des Drachen, und Euer Wunsch nach Buße ist aufrichtig. Wir erkennen Eure Reue und Wir glauben an die Aufrichtigkeit Eurer Worte. Doch sprechen wir Recht nach den Gesetzen Galladoorns und die Strafe für Eure Vergehen ist der Tod. Vergebung für Eure Taten im Namen der Liebe und Barmherzigkeit des Großen Drachen werdet Ihr in der Ewigen Stadt erhalten, sollte die Reue in Eurem Herzen Uns nicht getäuscht haben. Wir verurteilen Euch zum Tod durch das Schwert. "
Gemurmel erhob sich, als die Baronin endete, verstummte jedoch wieder, als sie sich erhob.
,,Jedoch werden wir von keinem Mann verlangen, wider die Überzeugung seines Herzens zu handeln und Euch in unserem Namen den Tod zu geben. Wir werden das Richtschwert selbst führen und Eure letzen Worte im Herzen bewahren."
Und so starb der Freiherr von Wendt.

Anne Holtz

Die Geschäftigkeit der Erntezeit vorüber, die Kornkammern dank der Lieferungen aus Waldbrunn ausreichend gefüllt, erwartete man in Erbnacht den Winter.
Mit dem ersten Schnee wurden die Boten weniger, und die Menschen zogen sich mehr und mehr in ihre Häuser zurück. In den Ruinen der Feste Erbnacht standen neben den im Frühjahr errichteten Holzhäusern bereits die Grundmauern weiterer Gebäude, gegen den Frost mit Stroh abgedeckt, und unter dem Schnee bald nicht mehr von den geschwärzten Trümmern zu unterscheiden.
Nur das Heulen der Wölfe, die sich, in den letzten Jahren vorwitzig geworden, früher und näher an die Behausungen heranwagten und die vielen dunklen Fensterhöhlen, die von verstorbenen oder verschollenen Familien kündeten, gemahnten an den vergangenen Krieg.

Zu dieser Zeit, kurz vor dem Lichterfest, erging eine Verlautbarung der Baronin:

,,Ein jeder Mann oder Frau von Stand, der sich aufhält in den Grenzen der Baronie Erbnacht, in denen diese besteht seit dem Jahre 44 vor Erion, sei hiermit aufgefordert, sich binnen einer Frist von sechs Monaten am Hofe Ihrer Hochwohlgeboren Isabella von Tiefensee, Baronin von Erbnacht, einzufinden, so er oder sie bislang noch nicht vorstellig geworden sei. Dort erhalte er oder sie Gelegenheit, bestehende Ansprüche geltend zu machen. Ländereien, auf die binnen dieser Frist kein zu prüfender Anspruch angemeldet wurde, oder deren ehemalig herrschende Blutlinie als gesichert erloschen gelten kann, werden neu vergeben."