Bewegung in Schwingenstein

[Caidrach Karlesce von Trutzwald]

Die letzten Wochen waren ruhig gewesen in Schwingenstein.
Die westlichste Provinz Galladoorns hatte die Ruhe NACH dem Sturm dringend nötig gehabt. Es waren die Tage des Zählens und Messens gewesen. Was hatte der Konflikt gekostet, was hatte er gebracht? Viel und wenig würden die meisten wohl antworten. Schwierig zu durchschauen war es für die meisten ohnehin. Doch, es herrschte nun wieder Ruhe. Bis auf weiteres. Ein guter Teil der Truppen des Südens war entwaffnet worden. Gleichwohl wurden einige Einheiten unter Waffen belassen, da man ihre Mannstärke benötigte, um den Reichs- und Landfrieden aufrecht zu erhalten. Die meisten Adeligen, die auf Seiten der Rebellen gestanden hatten, befanden sich unter Hausarrest oder Gewahrsam. Der Süden wurde größtenteils durch eingesetzte Übergangsverwalter kontrolliert, die einen Berg an Arbeit zu bewältigen hatten. Es galt, die Kriegsgewinnler zu ermitteln und gegen sie vor zu gehen, Verbrechen aufzuklären und allgemein Rechtssicherheit zu schaffen. Dörfer mußten versorgt werden mit Saatgut oder anderen Dingen des täglichen Bedarfs. Es galt, eine Friedenshochzeit zu planen.

In jenen letzten Tagen des September kehrte der Baron aus Bretonien mit seinen getreuen Vasallen zurück.

Kaum angekommen, machten sich berittene Boten aus Schwarzbergen, Brockenmark und Eichingen in den Süden der Provinz auf.

In den ersten Oktobertagen zog der Vogt von Eichingen mitsamt seinen Getreuen und begleitet von einigen Blauröcken durch die südlichen Gemarkungen Schwingensteins. Er reiste von Ort zu Ort, hielt bei Adelshäusern und Schuldtürmen gleichermaßen. Stets vergrößerte sich sein Gefolge, wenn er weiter zog. Grimmig waren die Gesichter derjenigen, die sich ihm anschlossen. Manchmal auch verzweifelt und voller Ungewißheit oder sogar Furcht. Alle hatten sie große Bündel mit Reisegepäck bei sich. Es hatte den Anschein, daß die Einen die Anderen mit Argusaugen bewachten statt begleiteten.

Der ansehnlich große Zug an Menschen bewegte sich zur südlichen Landesgrenze, wo er nach deren Überschreiten auf einen Troßzug traf. Nach dem Aufeinandertreffen wurden die Versammelten einheitlich eingekleidet und nach einer Art Ritual anschließend bewaffnet. Hernach konnte man lediglich den Abmarsch weiter gen Süden beobachten, einem ungenannten Ziel entgegen.

[Marie de Villaret]

Zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort….

Marie rannte durch das Dickicht der freigräflichen Wälder. Ihre Röcke waren über einen Gürtel hochgebunden. Ihre Haube hatte sie schon bei den Pferden zurückgelassen. Endlich war sie alleine….  Sie rannte bis sie nicht mehr konnte. Dann sank zu Boden, Tränen liefen über ihre Wangen. Sie kauerte sich unter einem Eichenbaum zusammen. Über die Wurzeln des Baumes zog sich ein feiner und dünner Efeustrang. Marie lächelte… sogar hier war sie nicht alleine. Sogar in der Einsamkeit waren ihre Gedanken stets bei ihm.

Dann nahm die Dame ein paar Eicheln und vergrub diese in der Erde. „Einen Samen für einen Samen, große Mutter“, sprach Marie leise vor sich hin. Und danach steckte sie noch weitere Eicheln in den Boden und dachte an ihr letztes Gespräch mit dem Baron von Tauenrank zurück: „Oh Mutter Meret, ich bitte Dich, nehme Dich all den verlorenen Seelen an“. Maries Gedanken schweiften ab… zu ihrem Blut, zu ihrem Vater… Wie wäre die Geschichte geschrieben worden, wäre ihr Vater damals siegreich gewesen? Wäre sie dann die freigräfliche Prinzessin? Würde sie dann herrschen?

Marie schüttelte den Kopf, wie um diese Bilder in ihrem Kopf wieder zu verlieren. Diese Gedanken darf sie nicht einmal in sich tragen. „Loyalität“, murmelte sie vor sich hin. Loyalität....