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Rückkehr aus Moringaard

Begonnen von Tine / Alrun, 21.06.2017, 02:15:05

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Tine / Alrun

Verzerrte, fahle Gesichter. Tote Augen. Ausgestreckte Hände, die nach ihr greifen, die Finger zu Krallen verkrümmt. Gurgelnde, tierische Laute aus verwesenden Mündern. Der kniende Soldat. Dürre, ringgeschmückte Finger. Spitze, brüchige Nägel, die sich in seinen Hals graben. Das Grinsen in dem toten Gesicht. Gier. Violette Seide, schwarzer Samt. Moder und Staub. Er starrt ihr direkt in die Augen. Die Pupillen vor Angst und Schmerz geweitet. Unmenschliches Brüllen, das aus den Tiefen seines Seins hervorbricht. Zähne, rot verfärbt vom eigenen Blut. Speichel, der Blasen wirft. Ein wortloses Flehen um Hilfe, um Erlösung, die sie ihm nicht geben kann. Sein Weinen und Kreischen brennt sich in ihr Gehirn. Fast ist es ein Segen, dass sie nur noch auf einem Ohr hören kann. Fast wünscht sie sich vollständig taub zu sein. Ohnmächtige Wut – auf diese anderen, auf sich selbst. Mitleid. Nagende Hilflosigkeit. Schmerz. Sein starrer, durchdringender Blick, der sich in die Tiefen ihrer Seele bohrt. Schreien, Wimmern. Seine Augäpfel verdrehen sich. Nur noch das Weiße ist zu sehen. Erleichterung. Scham. Rote, rasende, brennende Wut. Schwarze, lähmende, kalte Verzweiflung. Ein Würgen in der Kehle. Eisenbänder, die sich um ihre Brust zusammenziehen. Schmerz. Angst. Finsternis ...
Alrun fährt mit einem erstickten Keuchen aus dem Schlaf hoch, die Finger in die rauhe Wolle ihrer Decke verkrallt. Die schweißnasse Tunika klebt ihr am Körper. Mit zitternden Fingern wischt sie die Tränen ab, die ihr übers Gesicht laufen. Röchelnd holt sie Luft und tastet nach den Anhängern um ihren Hals, krampft die Finger um die Beutel, dass die Knöchel hervortreten. Es bringt kaum Erleichterung. Schon wieder diese Träume. Sie war so froh gewesen, als sie nachgelassen hatten. Nun sind sie wieder da. Nur anders. Sie hat wieder angefangen zu trinken. Das hilft die Träume fernzuhalten. Manchmal. Sie atmet tief ein. Die kühle Nachtluft beruhigt sie. Um sie herum leise Geräusche in der Dunkelheit. Ein leichter Windhauch. Ein Schnarchen. Jemand rollt sich im Schlaf auf die andere Seite. Seufzend lässt sie sich zurücksinken. Sie scheint, Meret sei Dank, niemanden geweckt zu haben. Ihr Atem beruhigt sich langsam wieder, das Herz schlägt nicht mehr gehetzt und schmerzhaft gegen die Rippen. Sie schmeckt Blut und ihr Kiefer schmerzt. Verkrampfte Muskeln lockern sich allmählich wieder. Ihre Augen starren in die Nacht. Erinnerungsfetzen ziehen durch ihren Geist. Moringaard ist fürchterlich gewesen. Fast so schlimm wie Hornstein. Oder schlimmer? Anders schlimm? Sie kann es nicht sagen. Ein tiefer Atemzug. Seit fast zwei Wochen geht das jetzt schon so. Aber sie ist nicht die einzige. Auch die anderen haben Narben davongetragen. Besonders morgens ist das deutlich zu sehen. Graue Gesichter, müde Augen. Immer wieder fährt jemand ohne erkennbaren Grund herum oder zuckt zusammen. Manch einer rührt nur mit leerem Blick in seiner Breischüssel ohne viel davon zu essen. Miljena, Tarenja und die ehrwürdige Mutter Cataja tun ihr Bestes um zu helfen, die Last von den Schultern zu nehmen, zu beruhigen. Doch auch sie haben mit den Erinnerungen zu kämpfen. Starren oft teilnahmslos ins Nichts, bis sie ein Schauer durchläuft und sie sich wieder ihren Pflichten widmen. Mitfühlend, tröstend, warmherzig, verbissen. Die Reisenden gehen extrem vorsichtig miteinander um, trotzdem kommt es hin und wieder zu Reibereien – häufig aus völlig nichtigen Gründen. Hinterher weiß dann keiner, wie es dazu gekommen ist. Scherze wirken oft schal und angestrengt. Manchmal fühlt Alrun, wie Mutter Catajas Blick auf ihr ruht. Forschend, nachdenklich. Was sie wohl seit dem Ausbruch auf dem Schlachtfeld von ihr hält? Sie schämt sich für die Schwäche, die sie dort gezeigt hat. Wenn das ihr Herr erführe... Ob er sie verachten würde? Höchstwahrscheinlich. Sie könnte seinen angewiderten Blick nicht ertragen. Das Naserümpfen über ihre Unfähigkeit. Er hat nichts übrig für Memmen und Weichlinge. Das hat er oft genug gesagt. Und gezeigt. Ein Krieger hat hart zu sein. Nichts darf ihn von seiner Aufgabe ablenken. Sonst ist er nutzlos. So nutzlos wie sie auf dieser Reise. Sie hat Untote erschlagen, doch sie  kamen wieder. Immer wieder. Andere waren unangreifbar, unfassbar, flüchtig wie Rauch im Wind und trotzdem fügten sie Schmerzen zu, reale Verletzungen. Man stand hilflos daneben, unfähig einzugreifen, zu helfen. Wieder und wieder. Das unerträgliche Gefühl der Nutzlosigkeit, des Versagens. So sinnlos. Es schnürte einem das Herz ab. Anstatt andere zu beschützen, musste sie selbst beschützt werden. Sie behinderte die anderen, war keine Hilfe, sondern ein Klotz am Bein. Sie versteht nichts von ,,Ebenen" und finsterer Magie. Sie weiß, wo sie hinschlagen muss, damit ein Gegner zu Boden geht. Sie weiß, wohin sie stechen muss, um sich einen Feind vom Hals zu halten. Das hat sie über die Jahre gelernt. Das kann sie. Sogar gut. Aber all das nutzt nichts bei einem Gegner, der keinen Schmerz fühlt, bei einem Feind, durch den die Klinge einfach hindurchgleitet. Sie ballt die Fäuste, fühlt, wie sich die Fingernägel schmerzhaft in die Handflächen graben. Sie würde gerne mit jemandem sprechen, sich all ihre Zweifel und Ängste von der Seele reden, doch sie wagt es nicht. Ihr Herr würde das nicht billigen. Und wenn sie es dennoch täte? Mutter Cataja hat sie sowieso schon über Gebühr belastet. Die Hohepriesterin hat gerade erst ihren Liebsten verloren. Miljena kennt sie nicht gut genug. Außerdem hat diese immer noch mit der Trauer um ihren Bruder zu kämpfen. Da käme sie mit ihren lächerlichen Problemen gerade recht. Ob sie sich einmal an Tarenja wenden soll? Alrun mag die ausgeglichene, unaufgeregte Art der Priesterin. Schon oft hat sie mit kundiger Hand die Wunden der Knappin verbunden. Ob sie auch etwas von Wunden der Seele versteht? Vielleicht ist es einen Versuch wert. Falls sie den Mut aufbringt. Minutenlang starrt Alrun in die Finsternis. Sie möchte schlafen und vergessen, doch sie fürchtet sich vor den Träumen. Schließlich dreht sie sich zur Seite und fischt so geräuschlos wie möglich die Schnapsflasche aus ihrem Rucksack. Ein langer, tiefer Zug. Ein Brennen in der Kehle. Tröstende Wärme. Noch ein weiterer Schluck - zur Sicherheit. Vielleicht kommen die Träume wenigstens für den Rest dieser Nacht nicht zurück ...
Wenn Ihr das sagt, Herr.
(\_/)
(O.o)
(> <)

Graumähne

Elen sila lumenn' omentielvo.